Ein Asbestviertel mitten in Berlin
Das
Brunnenviertel erstreckt sich zwischen Bernauer Strasse und Gesundbrunnen. Tausende degewo Mietwohnungen befinden sich in dieser ruhigen, breit angelegten und grünen Wohngegend. Auf fast jedem Wohnblock hoch oben präsentiert sich stolz das degewo Firmenlogo. Was die wenigsten Mieter wissen:
2.700 degewo Wohnungen sind hier mit asbesthaltigen
Floorflex-Platten ausgestattet.
Bevor wir ins Brunnenviertel zogen, besuchten wir öfters Freunde in der Swinemünder Strasse (ca. 2008/2009). Dort sahen wir erstmals Floorflex-Platten. Niemand wusste, dass Floorflex-Platten asbesthaltig sein könnten. Unsere Freunde bohrten beim Einzug in Ihre Masionette-Wohnung Löcher in den Boden, um für ihre Kinder eine Treppensperre zu montieren. Keiner wusste etwas von der Asbestgefahr. Noch weniger dachten wir, dass uns diese Böden einmal selbst zum Verhängnis werden.

Unsere Mietwohnung - von Anfang an nicht wohnbar
Februar 2012, meine Frau und ich übernehmen eine renovierungsbedürftige Mietwohnung von Bekannten (Nachmieterregelung). Uns ist bewusst, dass in der Wohnung viel gemacht werden muss. Wir rechnen aber auch damit, dass wir die Wohnung in Zukunft weitergeben können (so wie unsere beiden Vormieter).
Der degewo teilen wir unsere Renovierungsabsicht mit. Wir wollen das Bad komplett neu machen, die Böden im Wohn,- und Schlafzimmer austauschen, alle Wände und Decken neu gestalten.
In der Genehmigungsanfrage halten wir schriftlich fest, das wir beabsichtigen Parkett verklebt zu verlegen. Mündlich besprechen wir das auch mit Frau G. von der degewo.
Laut Frau G. kann uns die degewo zwar nicht schriftlich genehmigen, neue Böden verklebt zu verlegen, Sie versicherte uns aber, das wenn wir einen Nachmieter finden wäre dies kein Problem. Das gleiche versicherte man uns auch bei der Wohnungsübergabe. Falls wir niemanden finden sollten, müssten wir den Boden schlimmsten Falls selber entfernen. Laut Frau G. würde dieser Fall aber sicherlich nicht eintreffen, da wir die Wohnung ja aufwerten.

Vereinbarung für bauliche Veränderungen
Die degewo genehmigte uns schriftlich die Renovierung einer asbestbelasteten Mietwohnung, ohne auf die Asbestgefahr hinzuweisen.
Das Berliner Landgericht rügte die degewo deshalb 2018 in einer Urteilsverkündung, trotzdem sieht die degewo den Fehler ausschließlich bei uns. Wir allein wären laut degewo für die Asbestkontamination verantwortlich, denn man habe uns lediglich die Verlegung auf vorhandenen Belag genehmigt:
"Verlegung von Parkett (schwimmend, vorzugsweise unverleimt mit Klickverschluss) inklusive Einbau einer Trittschalldämmung auf vorhandenen Belag im Wohn- und Schlafzimmer."
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass uns die degewo die Renovierung einer Asbestwohnung genehmigte, ohne auf die Asbestgefahr hinzuweisen.
Die Verlegung auf vorhandenen Belag wäre ausserdem nicht möglich gewesen, da sich im Wohn- und Schlafzimmer Laminat befand. Der vorhandene Belag musste raus. Das sich unter dem Laminat noch ein anderer "vorhandener Belag" befand, wussten wir nicht, die degewo anscheinend doch.
Unter dem Laminat lag also ein anderer Bodenbelag, der geklebt wurde. Warum hätten wir bedenken haben sollen, wenn hier schon mal ein anderer Bodenbelag vollflächig auf den Untergrund geklebt wurde? Ausserdem hatten wir der degewo schriftlich sowie mündlich mitgeteilt, dass wir beabsichtigen das Parkett verklebt zu verlegen. Das geht nun mal nicht auf einem vorhandenen Bodenbelag.
Das wir den Boden "
in Ruhe lassen" sollen oder nicht beschädigen dürfen, stand nirgendwo. Die degewo wusste, dass wir an die Böden ran gehen. Das Asbestbaustoffe in der Wohnung vorhanden waren, wurde uns verschwiegen.
In der Vereinbarung werden wir lediglich vor verdeckten Leitungen gewarnt, diese dürften nicht beschädigt werden.
"Die Ausführung hat ohne Beschädigung verdeckt verlegter Leitungen (Elektro-, Sanitär-, Heizungs- und Lüftungsinstallation)
zu erfolgen".
Unter Punkt 7 werden wir sogar noch darauf hingewiesen, den
entstehender Bauschutt (!) selbst zu entsorgen.
Man ging sehr wohl davon aus, dass es zu Bauschutt und damit zu Substanzverletzungen kommen würde.
Degewo verheimlicht Asbestgefahr
Mit keinem Wort wurden wir über die Asbestgefahr in unserer degewo Mietwohnung gewarnt, obwohl
Frank Bielka (ehemaliger degewo Aufsichtsratsvorsitzender und Staatssekretär) schon
im Jahr 2000 dem Senat bekannt gab, dass
14.400 degewo Wohnungen asbesthaltige Floorflex-Platten enthalten. Die degewo wusste also sehr wohl, was für eine Gefahr in den Wohnungen lauert. Trotzdem genehmigte uns die degewo die Renovierung der Wohnung.

In unserer degewo Garage wurden wir sehr wohl auf mögliche Gefahren hingewiesen. Warum nicht in unserer Wohnung?
Asbesthaltigen Kleber heraus gefräst
Anfang Februar 2012 entfernten wir im Zuge der Renovierung die asbesthaltigen Vinyl-Fliesen aus Wohn,- und Schlafzimmer. Die Fliesen wurden als Bauschutt in Berlin-Charlottenburg entsorgt.
Dann wurde der asbesthaltige Schwarzkleber heraus gefräst, ohne adäquate Schutzmaßnahmen. Die Betonfräse brachte den kompletten Plattenbau zum vibrieren. Feiner Staub überall in der Wohnung.
Für das Herausnehmen von asbesthaltigen Klebstoffen gelten übrigens die gleichen Schutzmaßnahmen wie für schwachgebundene Asbestprodukte. Solche Arbeiten müssen unbedingt in einer staubfreien Umgebung durchgeführt werden. Die zu renovierenden Räume werden dafür komplett abgedichtet. Die Arbeiter dürfen nur im Schutzanzug/Atemschutz die Räume betreten. Es dürfen keine Asbestfasern eingeatmet werden oder aus den Räumen entweichen.
Schutzmaßnahmen bei einer Asbestsanierung, Promotionsvideo einer Asbestsanierungsfirma aus dem Jahr 1987 (3 Jahre vor dem bundesweiten Asbestverbot)
Degewo Kundenzentrum Nord empfängt keine Kunden
2018 möchten wir die Wohnung abgeben, da wir ins Ausland ziehen. Mehrere Interessenten wollen die renovierte, komplett möblierte Wohnung übernehmen und dafür einen Abstand zahlen.
Mitte August 2018 gingen wir deshalb zum Kundenzentrum Nord, um die Modalitäten zu klären. Zu unserer Überraschung empfängt das degewo Kundenzentrum Nord in der Brunnenstrasse niemanden mehr persönlich.
Damals ging das noch, man spazierte einfach hinein. Heute sieht es anders aus. Wir sollen unser Anliegen per Telefon oder E-mail mitteilen.
Degewo antwortet, dass die Wohnung wegen Schadstoffbelastung für eine Weitergabe gesperrt sei.
Was für eine Schadstoffbelastung?
Im Mietvertrag steht nichts über eine Schadstoffbelastung, in der Vereinbarung über bauliche Veränderungen steht auch nichts. Persönlich wurden wir auch nicht gewarnt. Hinweisschilder im Wohnhaus? Fehlanzeige.
Mehrmals kontaktieren wir die degewo um Klarheit zu bekommen. Ohne Erfolg. Kein degewo Mitarbeiter hat uns gegenüber das Wort Asbest je in den Mund genommen.
Audio - Asbest?Kein Wort über Asbest
In einer E-mail fragen wir, ob mit Schadstoffbelastung Asbest gemeint ist und warum die Wohnung für eine Weitergabe gesperrt sei.
E-mail vom 24.10.2018:
"
Zunächst möchten wir Ihnen Ihre Bedenken nehmen hinsichtlich einer Gesundheitsgefährdung aufgrund von Schadstoffbelastung... wie Sie vielleicht jedoch bereits durch Presse und Rundfunk selber zur Kenntnis nehmen mussten, hat sich die Wohnungsmarktsituation in Berlin grundsätzlich geändert...
als landeseigenes Wohnungsunternehmen ist es uns nicht immer möglich, frei über jede Wohnung zu verfügen. Vor allem Wohnungen, die dem sozialen Wohnungsbau unterliegen, so wie auch die von Ihnen angemietete Wohnung... gewisse Voraussetzungen müssen oftmals erfüllt sein. In der Regel können daher derzeit kaum noch Nachmieterwünsche durch den Vermieter berücksichtigt werden... wir bitten Sie daher, zunächst davon auszugehen, dass Sie uns die Wohnung vollständig geräumt herausgeben müssen."
Kein Wort von einer möglichen Asbestbelastung. Die Wohnung unterlag schon lange vor uns dem sozialen Wohnungsbau. Es hat sich in dieser Hinsicht nichts geändert.
Eine Nachmieterregelung wäre im übrigen möglich, wenn die Wohnung nicht schadstoffbelastet wäre, wie uns ein degewo Mitarbeiter in einem Telefonat bestätigt. Die E-mail scheint ein schlecht durchdachtes Ablenkungsmanöver zu sein.
Audio - Nachmieterregelung
Die Nachmietervereinbarung unseres Vormieters aus dem Jahr 2010
Alle Schadstoffe dieser Welt
Eine Internetrecherche bringt mehr Klarheit als alle bisherigen Kommunikationsversuche mit der degewo. Den Online-Medien gegenüber zeigt sich die degewo kommunikativ und offen. Da findet man alle möglichen Informationen: Tausende degewo Wohnungen mit asbesthaltigen Floorflex-Platten, etc.
Ist unsere Wohnung nun auch betroffen oder nicht? Noch immer versuchen wir das herauszufinden. Von der degewo erfahren wir nichts konkretes. Man müsste erst testen, um was für Schadstoffe es sich da handeln könnte. Bis dahin kann man uns nichts konkretes sagen.
Erst wenn wir aus der Wohnung ausziehen, würde man über einen Zeitraum von bis zu einem Jahr testen, um zu sehen was für Schadstoffe es sein könnten. Die Wohnung muss dafür komplett leergeräumt sein, sonst würde man keine objektiven Testergebnisse erhalten.
Audio - wir müssen rausMan teste auf alle Schadstoffe die es gibt in dieser Welt, wortwörtlich wurde uns das so gesagt.
Audio - wir testen allesPersönliches Gespräch nicht erwünscht, persönlich schnüffeln ja?
Von Anfang an suchten wir den persönlichen Kontakt. Ohne Erfolg.
Dann, am 31.10.2018 gegen 15 Uhr, erscheint in unserem Wohnhaus in der Graunstr. 7 plötzlich eine Mitarbeitern von der degewo. Frau K. Mit Ihr hatten wir kurz vorher E-mail-Kontakt, keine einzige unserer Fragen wurden von Ihr konkret beantwortet.
Das ich Frau K. traf war reiner Zufall. Als ich durch die Haustüre in Richtung Lift ging, wartete Frau K. vor einer Wohnungstür. Wir begrüßten uns kurz, ein Nachbar öffnete Ihr die Tür. Ich hörte noch wie Sie sich vorstellt: Frau K. von der degewo..... Die Lifttür schließt.
Frau K. klopfte an diesem Nachmittag
bei fast allen Nachbarn. Bei uns klopfte Sie nicht (meine Frau war Zuhause). Mehrere Nachbarn erzählten uns danach, dass Sie
besonderes Interesse an den Böden zeigte. Wo nur ein Türspalt geöffnet wurde, wollte Sie bewusst hineinsehen. Ein Tablet hatte Sie dabei und machte darin Notizen.
Der offizielle Grund Ihres Besuchs: Kleinigkeiten beanstanden wie z.B. Fahrräder im Flur und nicht erlaubte Fußabtreter (
hätte Sie die Mieter nicht lieber über die mögliche Asbestgefahr aufklären sollen?).
Unser im Flur abgestelltes Fahrrad hat Sie nicht beanstandet. Auch nicht unseren Fußabtreter.

Mieterschutzbund hilft, Vermieter versteht nur Anwaltsdeutsch?
Erst nachdem man uns beim
Mieterschutzbund beraten hat und uns
erklärte, wie man mit dem Vermieter kommunizieren soll, ging es voran:
“
Ich fordere Sie auf, innerhalb von 10 Tagen ab Zugang dieses Schreibens zu bestätigen, das die Fußbodenplatten/Fußbodenkleber in meiner Wohnung asbestbelastet sind. Sollte die gesetzte Frist nicht eingehalten werden, werde ich kostenpflichtig einen Gutachter hiermit beauftragen.”
Innerhalb kürzester Zeit kam eine E-mail von der degewo. Plötzlich ging alles schnell. Ein Gutachter wird sich mit uns in Verbindung setzen, um die Böden auf Asbest zu testen. Auch das ging sehr schnell.
Plötzlich musste die Wohnung nicht mehr leergeräumt werden. Es wird auch nicht mehr auf alle Schadstoffe dieser Welt getestet. Nein, nur auf Asbest. Jetzt geht es gezielt zur Sache.
Degewo Gutachter: "das ist schon sehr fahrlässig"
Im Wandschrank (Flur) waren noch ein paar Floorflex-Platten vorhanden, hier hat der Gutachter (Herr G.) eine Probe entnommen. Asbest wurde sowohl in den Floorflex-Platten als auch im Schwarzkleber nachgewiesen. Trotzdem mussten wir später unseren eigenen Gutachter (Herr W.) beauftragen.
Degewo's Anwälte bestreiten, dass der gleiche Asbestboden auch im Wohnzimmer und Schlafzimmer vorhanden war (vor so einer Argumentation wurden wir schon gewarnt). Im Wohnzimmer und Schlafzimmer war im Randbereich noch ein schwarzer Kleberstreifen vorhanden, hier entnahm Herr W. eine Probe. Testergebnis: Asbest.
Herr G. sah keinen Grund in den anderen Räumen zu testen. Wenn im Flur Asbest zu finden ist, dann wurde das Zeug überall verbaut.
Das uns die degewo vor den asbesthaltigen Böden nicht gewarnt hat, fand er sehr fahrlässig. Audio - sehr fahrlässigKein Einzelfall
Herr G. (der von degewo bestellte Gutachter) berichtete außerdem, dass schon
viele Mieter die
Asbestböden selber renoviert haben, ohne sich der Gefahr bewußt zu sein. In der
Graunstrasse 7 wurden laut Ihm schon
mehrere Wohneinheiten auf Asbest untersucht. Ihm zufolge wurde bisher
in allen Fällen Asbest in den Böden nachgewiesen.
Audio - viele FälleHerr W. führte laut eigenen Angaben
noch vor dem Asbestverbot 1993 Proben für die landeseigenen Wohnungsgesellschaften durch, in denen schon damals
Asbest in den Floorflex-Platten nachgewiesen. Er erzählte uns, dass zu dieser Zeit die Untersuchung per Elektronenmikroskop relativ neu war.
Die landeseigenen Wohnungsgesellschaften (degewo inklusive) sind Ihm zufolge sehr wohl informiert und wüssten, wo asbesthaltige Fußböden verbaut sind.
Abgewimmelt
Die degewo will es sich einfach machen: das wir die Wohnung wegen Schadstoffbelastung jetzt nicht weitergeben können, sei unser Problem. Das wir bei der Renovierung unser Leben riskiert haben, sei unsere Schuld. Damit müssen wir jetzt leben.
Was wäre wenn
Bis Mitte 2018 wussten wir nichts über die Asbestgefahr in der Wohnung. Kein Wunder, denn ex-degewo Geschäftsführer
Frank Bielka sah schon im Jahr 2000 keine Notwendigkeit, Mieter über mögliche Gefahren aufzuklären. Erst als wir die Wohnung weitergeben wollten, informierte uns die degewo spärlich über eine Schadstoffbelastung. Wären wir nicht ausgezogen, hätten wir womöglich nie erfahren, dass wir bei der Renovierung gefährlichen Asbestfasern ausgesetzt waren.
ARD Kontraste berichtet über unseren Fall
Rechtlicher Hinweis:
“Gesprächsteile, die nicht dem Kernbereich privater Sphäre angehören, können verwertet werden, wenn die Interessen der Allgemeinheit im Verhältnis zu den grundrechtlich geschützten Belangen der Gesprächspartner so überwiegen, dass eine Verwertung der Tonbandaufnahmen als zulässig anzusehen ist."
Bayerisches Oberstes Landesgericht (BayOLG) - Urteil vom 20.01.1994 - Aktenzeichen 5 St RR 143/93